BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

OV Murnau & Umgebung

Antrag: Öko-soziale Verantwortung in den Vergaberichtlinien

10.09.20 –

 

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Blumenarbeiterinnen in Afrika, die für Hungerlöhne arbeiten, hochgiftigen Pestiziden ausgesetzt sind und sich nicht gewerkschaftlich organisieren dürfen – Computer aus Osteuropa, die nach kurzer Lebensdauer Sondermüll verursachen und bei den herstellenden Industriearbeitern ein erhöhtes Krebsrisiko verursachen – Spielwaren aus China, die von Wanderarbeiterinnen mit 14 Stunden Arbeitszeit täglich hergestellt werden – Büromöbel aus Deutschland, zu deren Holzgewinnung Wälder nicht nur bewirtschaftet, sondern ausgebeutet werden - Pflastersteine aus indischen Steinbrüchen, die von Kindern unter lebensgefährlichen Bedingungen, ohne Schutzkleidung und Atemschutz. geschlagen werden.

All das gehört zur täglichen Realität im globalen Konsum und wird auch über unsere Steuergelder finanziert. Denn Einkäufe von Waren und Dienstleistungen durch die öffentlichen Haushalte in Deutschland machen rund 16% des Bruttosozialprodukts aus. Die öffentliche Hand hat eine Einkaufsmacht. Und damit hat es auch eine Bedeutung, wie unsere Kommune ihr Geld ausgibt.

Mit dem Bekenntnis zur Fair Trade Town und der Partnerschaft mit Atwima in Ghana hat unsere Marktgemeinde bereits einige Schritte als eine Art Selbstbekenntnis in Sachen öko-sozialer Verantwortung eingeleitet. Diese sollen jedoch nun fortgeführt und weiterentwickelt werden.

Der Marktgemeinderat möge beschließen:

  1. Sachstandsbericht
    Die Verwaltung gibt einen Bericht darüber, welche Erfolge bisher bereits hinsichtlich einer fairen Beschaffung erzielt werden konnten. Welche Erfahrungen gibt es und welche Maßnahmen zur Verbesserung sind aus Sicht der Verwaltung notwendig?

  2. Öko-soziale Kriterien als Bestandteil einer Vergaberichtlinie der Marktgemeinde Murnau am Staffelsee.
    Über eine Vergaberichtlinie werden künftig alle rechtlichen Möglichkeiten und Spielräume ausgeschöpft , um öko-soziale Kriterien aufzunehmen.

  • Phase Leistungsbeschreibung:
    Umweltkriterien sind als Mindestanforderung aufzunehmen, für die anerkannte und praktikable Zertifizierungen als Nachweis vorausgesetzt werden.

  • Phase Eignungsprüfung:
    Von den Bietern sind Nachweise über umweltrelevantes Fachwissen und umweltrelevante Ausrüstung zu verlangen, sofern diese für den Auftragsgegenstand oder die Auftragsausführung notwendig sind. Das gilt besonders bei Aufträgen in den Bereichen der Abfallwirtschaft, Bauwesen, Instandhaltung oder Sanierung von Gebäuden sowie Transportdienstleistungen. Bei Verdacht auf mangelnde Gesetzestreue des Bieters gegenüber deutschen Gesetzen des Arbeitsschutzes und des Wettbewerbsrechts wird eine Zuverlässigkeitsprüfung durchgeführt.

  • Phase Zuschlag:
    Soziale, Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien werden als Zuschlagskriterien in das Vergabeverfahren aufgenommen. Sie können zwar nicht zum Ausschluss eines Kandidaten aus dem Verfahren führen, dienen aber bei der Auswahl der Bieter als Pluspunkte und werden gegenüber dem Preis der Ware gewichtet. Produkte regionaler Herkunft sollen dabei besonders bevorzugt werden.

  • Phase Ausführung:
    Soziale, Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien werden in die „zusätzlichen Bedingungen für die Ausführung des
    Auftrags“ integriert. Nach der neuen Gesetzeslage müssen diese nun nicht mehr den Leistungsgegenstand nach Art, Eigenschaft oder Güte beeinflussen. Insbesondere die Einhaltung der ILO- Kernarbeitsnormen (u. a. Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, Vereinigungsfreiheit, Nicht-Diskriminierung) während des gesamten Herstellungsprozesses ist deshalb als „zusätzliche Auftragsausführungsbedingung“ aufzunehmen. Diese Vertragsbedingungen muss der Auftragnehmer für Dauer und Zweck des Auftrags erfüllen. Vom Auftragnehmer ist dafür ein entsprechendes Zertifikat oder die Mitgliedschaft in einer Multi- Stakeholder-Initiative vorzulegen, ersatzweise ist mindestens eine Selbsterklärung gegenüber Gemeinde zu unterzeichnen, wonach die Einhaltung der verlangten Standards zugesichert werden.

  1. Umsetzung der öko-sozialen Beschaffung
    Nach Festlegung von Zielen und Kriterien ist die Umsetzung derselben ein weiterer wichtiger Schritt, der gerade bei einer verantwortungsvollen Beschaffung nicht einfach ist. Denn Überblick und Bewertung der zahlreichen Zertifikate ist nötig, die Kontrolle der Einhaltung der Kriterien durch die Auftragnehmer ist schwierig, außerdem müssen die Beschäftigten der Verwaltung für ihre Verantwortlichkeit sensibilisiert werden. Um dies zu erreichen, nimmt die Gemeinde folgende Maßnahmen vor:
  • Eine Steuerungsgruppe aus Mitarbeiter*innen der Verwaltung, externen Berater*innen, Vereinen (Umweltverbände, Eine-Welt Organisationen), ggf. Gewerkschaften, Schulen, Kirchen und Einzelhandel wird eingerichtet . Aufgabe der Steuerungsgruppe ist:
  • EinenKatalogvonKontroll-undNachweismöglichkeitenfüreineöko- soziale Vergabe entwickeln
  • dieVergabebzw.denEinkaufdurchdieVerwaltunggemäßdenöko sozialen Beschaffungskriterien beobachten.
  • Bieter/AuftragnehmersowiederenProdukte/Dienstleistungenmit Aufmerksamkeit verfolgen, um so gegebenenfalls Verstöße oder Fehlentwicklungen aufdecken zu können
  • dievorhandenenKriterienundZieleregelmäßigüberprüfen, aktualisieren und weiterentwickeln Netzwerkarbeit und Austausch mit anderen Kommunen und Organisationen die in diesem Bereich tätig sind.
  • Öffentlichkeits-undBildungsarbeitindenUnternehmen,Schulen, Kindertagesstätten usw.
  • Öffentlichkeitsarbeit: Die Gemeinde beteiligt sich noch intensiver an der Kampagne „Fairtrade-Town“, und an weiteren kommunalen Zusammenschlüssen/Wettbewerben, wie etwa der „Hauptstadt des Fairen Handels“.
  1. Es wird eine Handreichung für alle Beschäftigten der Verwaltung erstellt, die im Direktkauf Produkte auf Kosten der Gemeinde besorgen. Die Handreichung soll eine Übersicht geben über Produkte, die prinzipiell problematisch sein können, sowie eine Hilfestellung sein, worauf beim Einkauf zu achten ist, beispielsweise durch eine Auflistung von Zertifikaten und Siegeln, die öko-soziale Mindeststandards garantieren.
  2. Weitere Standbeine für nachhaltigen und verantwortlichen Konsum
    Die Vergaberichtlinien werden auch in Schulen, Vereinen, VHS und weiteren Einrichtungen der Gemeinde sowie Institutionen, für die die Kommune einen Zuschuss gemäß der Vereinsförderrichtlinie zahlt, eingeführt. Hierfür werden diese Einrichtungen mit entsprechenden Praxis-Informationen aus der Steuerungsgruppe versorgt, die eine Umsetzung möglichst vereinfachen. Sie sind auf Wunsch an der Steuerungsgruppe zu beteiligen und insbesondere in die Bildungsarbeit für nachhaltigen und verantwortlichen Konsum einzubeziehen.

  3. Tochterunternehmen der Gemeinde
    Der Gemeinderat beschließt eine gleich lautende Empfehlung an gemeindeeigene Tochterunternehmen sowie Stiftungen und beauftragt den Bürgermeister als Aufsichtsrats-/ Stiftungsratsvorsitzenden, entsprechende Beschlussentwürfe den Aufsichtsräten bzw. dem Stiftungsrat vorzulegen.

  4. Evaluation
    In einem Jahr ist über die Entwicklung des Prozesses hin zu einer öko-sozialen Beschaffungsverantwortung der Gemeinde zu berichten.

  5. Beratung
    Die Kommune nimmt eine kostenlose Beratung durch die Fachstelle der Bundesregierung “Engagement Global” für alle Beteiligten der Beschaffungs- und Ausschreibeprozesse in Anspruch, um die vorgenannten Punkte erfolgreich umzusetzen: https://skew.engagement-global.de/fairer-handel-und-faire-beschaffung.html

Begründung:

Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom April 2009 wurde den öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit gegeben, soziale Aspekte als zusätzliche Bedingungen für die Ausführung von Aufträgen zu fordern. Betroffen davon sind zum Beispiel die Beschaffung von Natursteinen, Textilien, Spielwaren sowie Produkten und Fertigteilen der Informationstechnologie und aus anderen Bereichen.

Das Beschaffungsamt des Bundesministerium des Innern hat eigens eine Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung installiert; für Verwaltungen DIE Adresse neben dem Kompass der SKEW.

http://www.nachhaltige-beschaffung.info/DE/VergaberechtundNachhaltigkeit/neuesvergaberecht_node.ht ml

Rechtliche Grundlagen
Rechtliche Vorgaben bzw. Empfehlungen für mehr Ökologie im öffentlichen Beschaffungswesen existieren auf allen Ebenen der Gesetzgebung: EU, Bund, Bayern.

EU-Recht
Seit einer Novellierung der europäischen Vergaberichtlinien im Jahr 2004 können die Kommunen umwelt- und sozialpolitische Aspekte in eine Ausschreibung mit einbeziehen.
Zuvor waren die Hauptvergabekriterien Wirtschaftlichkeit und Qualität. Das Europäische Parlament hat am 15.01.2014 die EU-Vergaberichtlinie 2014/24/EU verabschiedet, die am 18.04.2016 in nationales Recht umgesetzt wurde . Neben den Beschaffungskosten eines Produktes können auch die Lebenszykluskosten (wie die Betriebskosten für Strom, Gas u. ä. und die Entsorgungskosten) sowie soziale und umweltbezogene Aspekte als Maßstab für die Wirtschaftlichkeit herangezogen werden. Eine Bevorzugung regionaler Produkte ist jedoch nicht direkt möglich. Ein sachlicher Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand ist dabei nicht mehr erforderlich. Es genügt, dass die Forderungen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Dies ermöglicht eine erhebliche Spielraumerweiterung für strategische Forderungen.

Bayern
Bereits in der Richtlinie über die Berücksichtigung von Umweltgesichtspunkten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 28.04.2009 formuliert die Bayerische Staatregierung u.a. „Dabei sind finanzielle Mehrbelastungen und eventuelle Minderungen der Gebrauchstauglichkeit in angemessenem Umfang hinzunehmen“ (Punkt 2.1). Insbesondere empfiehlt sie den Verweis auf die zahlreichen vorhandenen Kennzeichnungssysteme wie Blauer Engel, Europäisches Umweltzeichen, Energy Star u.a.

Die ILO-Kernarbeitsnormen:
Die vier Grundprinzipien der ILO, (1) Vereinigungsfreiheit und Recht auf Kollektivverhandlungen, (2) Beseitigung der Zwangsarbeit, (3) Abschaffung der Kinderarbeit, (4) Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf, haben in acht Übereinkommen, die auch als Kernarbeitsnormen bezeichnet werden, ihre konkrete Ausgestaltung erfahren. Daneben gibt es viele andere Arbeitnehmerrechte, die durch die ILO-Konventionen geregelt werden.

Weiterführende Informationen:
Die Website des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) hat eigens für die Beschaffenden Tools zusammengestellt, mit einer Datenbank nach Bundesländern, mit Produktgruppenbereiche, und viele Angebote wie z.B. kostenlose Vorträge in der Gemeinde und Verwaltungen, und vieles mehr:

https://skew.engagement-global.de/unsere-angebote.html
www.service-eine-welt.de (Vernetzung kommunaler Akteure)
www.beschaffung-info.de (Website des Umweltbundesamts)
www.fairtrade-towns.de (Städte und Gemeinden mit Selbstverpflichtungen)
www.cora-netz.de (Netzwerk für Beschaffung, praxisnahe Handlungstipps)
www.forum-fairer-handel.de (Infos zu Bildungsarbeit) http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/kernarbeitsnormen/index.htm (Kernarbeitsnormen der International Labour Organization ILO der Vereinten Nationen)
http://www.nachhaltige-beschaffung.info/DE/Bund/bund_node.html (BuySmart Programm: Unterpunkt “Sonstiges”)

 

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