Zwischen Rostbratwurst und Springerstiefel

Max Kamm

12.09.24 –

Über die politische Entwicklung des Ostens, die drastisch hohen Umfrage- und Wahlergebnisse der als in Teilen faschistisch zu nennenden Gruppierung AFD, wird schon seit Jahren in diversesten Talkshows von Experten und Politikern debattiert. Ein wirklicher Umgang mit der Situation in den östlichen Bundesländern scheint bisher nicht gefunden. Trotz dieser schon langen Phase der Berichterstattung und Debatte, scheint vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg trotzdem eine gewisse Überraschung zu der Eindeutigkeit dieser Entwicklung zu bestehen.

Für mich, der ich bis vor wenigen Wochen noch nie im schönen Osten unseres Landes war, konnte die dort scheinbar herrschende Unzufriedenheit nie verstehen.
Was für ein Glück, dass die Mitglieder des Ortsverband von Bündnis 90/Die Grünen Murnau, für das Superwahljahr 2024 und darüber hinaus eine Kooperation mit dem Kreisverband Greiz in Thüringen eingegangen sind. Diese Partnerschaft ermöglichte es uns und mir während meiner Sommerferien Mitte August, Reisen für den anstehenden Landtagswahlkampf der Grünen nach Greiz zu unternehmen.
So konnte ich mir ein eigenes Bild machen und die Demokratiebewegung dort unterstützen. Ich habe sehr engagierte und viele Menschen erlebt und kennengelernt, die nicht die AFD wählen. Insgesamt war ich dreimal für jeweils 3-4 Tage in Greiz, Thüringen. Einmal auch zusammen mit anderen Aktiven aus Murnau, der Sprecherin Petra Daisenberger, Georg Pfreimer und Birgit und Jimi Hammer.
In Greiz hofft momentan der Thüringer AfD-Chef, und wegen Volksverhetzung mehrfach verurteilte Straftäter, Björn Höcke, auf ein Direktmandat. Das ist sein Weg für das Amt zum Ministerpräsidenten, da er in seinem eigenen Landkreis Eichsfeld, keine Chance gegen einen starken CDU-Kandidaten, auf Einzug in den Thüringischen Landtag hat. Dieses Szenario, Höcke als Ministerpräsident von Thüringen, scheint für die AfD keine allzu ferne Zukunftsmusik mehr zu sein. Denn sobald ich auf meinen Reisen nach Greiz die Thüringer Landesgrenze passierte, wurde man von einer Vielzahl von Plakaten auf denen Höcke schon als Ministerpräsident betitelt wurde, gerade zu angelacht.
Höcke selbst erlebte ich während meiner Reisen dreimal. In Gera, in Altenburg und einmal direkt in Greiz, auf sogenannten ,, Familien“ oder ,,Sommerfesten“ organisiert von der AfD,
immer verknüpft mit einem finalen Auftritt von Höcke selbst. Meistens hielt ich mich während dieser Veranstaltungen, für mich selbstverständlich, auf den friedlichen Gegen-demos auf, oft organisiert von Kirchen, Demokratieverbänden oder Aktionsbündnissen wie ,,Kolibri“.
Einmal jedoch, in Altenburg, begab ich mich direkt auf die Veranstaltung der AfD und hörte mir eine geschlagene Stunde an, was der ehemalige Geschichtslehrer mit Vorliebe für SA-Parolen, so alles auf dem Herzen hat. Ich war sehr verblüfft darüber, wie sich so viel Hass, Lüge und Zynismus von nur einer einzigen menschlichen Zunge schälen kann. Höcke propagierte, dass es für Flugzeuge aus Algerien in denen hauptsächlich Algerier sitzen, natürlich meist dunkelhäutig, unter ihm in Thüringen keine Lande- sondern nur noch Starterlaubnis geben wird. Auch Politische Gegner sind offensichtlich unerwünscht und werden entsprechend plakativ gebrandmarkt. Er fabuliert von ,,den linken Sumpf trocken legen“ und mit anderen, nicht wiederholenswerten Phrasen seiner zu erwartenden Aktivität. Natürlich würde die AfD entscheiden, was ,,links“ ist und was nicht, würde es zu so einem Szenario kommen, wie es sich der Chef dieser Gruppierung ausmalt. Dass dies aus AfD Sicht auch große Teile der Union treffen dürfte, sei hier nur am Rande und zur Einordnung erwähnt.
Auch behauptete Höcke, dass die Gegendemonstration, die in diesem Fall von der evangelischen Kirche organisiert war, in Wahrheit von Islamisten veranstaltet und die Teilnehmenden Staatsangestellte seien. Herrn Höckes Quellen diesbezüglich würden mich mehr als interessieren, da ich ja nun doch schon seit ein paar Jahren aus Überzeugung für den Erhalt der Demokratie, viel und gerne, demonstrieren gehe und das bisher immer aus Überzeugung und nicht wie unterstellt, gegen Bezahlung. Höcke behauptete auch dass die Coronapandemie, die den ganzen Globus beutelte, eigentlich inszeniert war. ,,Corona war ein Fake“ brüllte er. Und gab einer Weltverschwörungsansicht Raum, in der Virologen und Virologinnen, die während der Pandemie die Frechheit besessen hatten, Zahlen zu veröffentlichen, zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Wie genau die Bestrafung auszusehen habe ließ er offen. Der Hass und die verbreitete Hetze sind groß und immer wieder war von geheimen Eliten und höheren Mächten, die im Hintergrund die Fäden ziehen die Rede, ohne er jemals darauf genauer eingeht.
Die Teilnehmenden der AfD Veranstaltung in Altenburg, ließen sich neben vielen, auf den ersten Eindruck, „normal“ wirkenden Menschen, in drei Gruppen einteilen. Da wäre zum einen der klassische Neo-Nazi mit Springerstiefeln, Tarnhose und schwarzem oder auch weiß rotem T-Shirt, bedruckt oder tätowiert, mit Wehrmacht Lanzer und/oder Sonnenrädern. Mehrere T-Shirts von Teilnehmern waren auch mit den Namen von SS-Divisionen aus dem Weltkrieg bedruckt, auf Englisch versteht sich, um so polizeilicher Fahndung zu entgehen. Die Veranstalter störte dass offensichtlich nicht, denn niemand hat dazu in irgendeiner Art reagiert oder Stellung genommen, auch wenn es sich um verbotene Nazi-Symbole handelte.
Immerhin wurde auf einem dieser ,,Sommerfeste“ in Gera ein Ordner der AfD-Veranstaltung vor meinen Augen von der Polizei festgenommen, weil er uns Gegendemonstranten den Hitlergruß zeigte.
Dann gab es ja auch noch die ,,Wutbürger“ mit Bierdose, die den Emotionen durch ergiebiges Pöbeln freien Lauf ließen. Zu guter Letzt war die Esoterik-Bewegung vertreten, die man rein vom Äußeren betrachtet, bisher eher der links-außen Szene zugerechnet hätte. Sie passten so gar nicht auf eine AFD-Veranstaltung, bei der ein „ordentlicher“ Haarschnitt und aggressives Auftreten, den Hauptanteil der Teilnehmenden ausmachte. Dieses „Verwischen der Linien“ ist ja ein Teil der Strategie.
Das Parteien nach ihren Veranstaltungen die deutsche Hymne singen, stört mich persönlich prinzipiell nicht, aber wenn Politiker Gelder aus Russland und China beziehen, empfinde ich es heuchlerisch, die Deutsche Hymne zu singen. Als die ersten Klänge der Hymne auf dem ,,Sommerfest“ ertönten, wurde von einer Handvoll Teilnehmer statt der korrekten dritten Strophe, die erste umstrittene Strophe gesungen. Dazu legte ich im Anschluss bei der Polizeidienstelle in Altenburg auch Beschwerde ein. Es wurde sogar von so Vielen die umstrittene Strophe gesungen, dass Höcke den Vorgang abbrach, um, so Zitat Höcke ,, der Presse kein unnötiges Futter zu liefern“. Dass die Hymne nur aus der dritten Strophe besteht und entsprechend geschützt ist, war dem Geschichtslehrer keine Erwähnung wert. Was bei mir die Frage aufwirft, wer bei uns alles Geschichtslehrer sein darf.
Eine der für mich prägenden Erfahrungen bei meinen Besuchen in Greiz, war der Umstand, dass Höcke selbst deutschlandweit medial „größer gemacht“ wird, als er in Wirklichkeit ist. Es findet eine Machtzuschreibung statt, die ich so nicht erkennen konnte. Auswendig gelernte Phrasen zu predigen, vor einem Publikum, das ohnehin alles bejubelt, was auch nur im Entferntesten das eigene Narrative bestätigt, scheint mir keine allzu große Kunst. Björn Höcke ist aber gewiss eine Gefahr für unsere parlamentarische Demokratie und gewiss mag dieser Mann ein Demagoge sein, allerdings kein besonders guter. Die Fähigkeit Millionen blind zu machen und so eine ganze Nation zu verführen, hat er meiner Ansicht nach nicht. Auch davon, in bürgerliche, mittige, Milieus vorzudringen ist er noch weit, weit, entfernt, obwohl er natürlich, sollte Thüringen so wählen, mit einer Sperrminorität enormen Einfluss auf die weitere Entwicklung dieses Bundeslandes und vielleicht auch über den Bundesrat, auf unser ganzes Land haben kann. Eine erschreckende Vorstellung.
Am letzten Abend meiner Reisen wurde ich auf ein Dorffest im benachbarten, 400 Einwohner starken Moschwitz eingeladen. Eine willkommene Gelegenheit sich bei Rostbratwurst und Greizer Schloss Pils, ganz der Schönheit des Ostens zu widmen und ein paar unpolitische Stunden zu genießen. Das Dorffest erinnerte mich, abgesehen von
fehlenden Maßkrügen und Lederhosen, an die Waldfeste, die zur Sommerzeit in bayerischen Regionen stattfinden. Schnell kam man mit den Moschwitzern ins Gespräch und wurde von der direkten ostdeutschen Art und dem verschmitztem Humor freundlich aufgenommen. Zwar war ein gewisses Ost-West Denken festzustellen, allerdings vergleichbar dem, wie man sich an unseren Stammtischen eben über „den Münchner“ SUV-Fahrer echauffiert. Faschistische Ideologie konnte ich keiner der vielen Unterhaltungen entnehmen.
Würde man also alle Ostdeutschen Menschen als naiv, undemokratisch oder gar rechts abstempeln, würde man einen sehr großen und fatalen Fehler begehen. Man würde viele verunglimpfen, die tagtäglich Demokratie leben und sich auch, allen Widerlichkeiten zum Trotz, für unser demokratisches Verständnis einsetzen. Im Grunde ist „der Ostdeutsche“ nicht Rechter als es ein Bayer oder eine Rheinländerin. Unzufriedener als der Rest Deutschlands aber vielleicht schon und dass teils völlig zu Recht. In den Städten, in denen ich mit Flyern von Haus zu Haus zog, waren teils ganze Straßenzüge komplett leerstehend. Ein lebendiges Marktleben, wie wir es von unseren Gemeinden kennen, fand nicht einmal auch nur in entferntester Weise statt. Straßen schienen wie leer gefegt. Ebenfalls erkannte man unschwer, dass die Bevölkerung in den neuen Bundesländern, deutlich älter ist als bei uns ist. Ich ließ mir das von Anwohnern so erklären, dass mehr oder weniger jeder und jede mit einem höheren Abschluss Ostdeutschland blitzartig den Rücken kehrt und im Westen auf mehr berufliche Möglichkeiten hofft. Was aber auch nicht verwundert, wenn man hört, dass mit dem gleichen Abschluss im benachbarten Bayern rund 10.000 Euro im Jahr mehr auf dem Konto sind. Auch ,,Städte-Flucht“, die aufgrund Thüringens ländlicher Lage meist in den Westen mündet, wurde mir geschildert. Mir scheint, dass von etablierten Parteien, wenn sie wieder bessere Ergebnisse im Osten erzielen wollen, weniger geredet und mehr zugehört werden sollte. Wie kann man von Menschen, denen nicht einmal eine funktionierende Anbindung zum nächsten Dorf vergönnt ist, Weltoffenheit verlangen?
Max Kamm

Wahlergebnisse Thüringen:
Die jetzigen Wahlergebnisse, mögen sie für viele auch unbegreiflich sein, überraschen mich in keiner Weise. Was mich tatsächlich fasziniert, ist die große Panik und Verwunderung die plötzlich von den Medien gehypt wird. Hätte man sich in den letzten Monaten auch nur im Entferntesten mit Thüringen oder Sachsen beschäftigt, hätten einen diese Wahlergebnisse nicht verwundert.
Was mich persönlich sehr ärgert ist die sogenannte ,,Sperrminorität“ die die AfD,
zumindest in Thüringen besitzt und die eine ersthafte Gefahr für die Demokratie in Thüringen darstellt.
Sehr gespannt blicke ich auch auf die Regierungsbildung, die allem Anschein nach zwischen den Konservativen, den Sozialdemokraten und den Linksnationalisten des BSW´s stattfinden wird. Ob dieses Bündnis die Wähler wieder auf einen demokratischen Kurs bringen wird, soll die Zukunft zeigen.
Für uns Grüne ist diese Wahl ein vorhersehbarer, allerdings dennoch schwerer Schlag ins Gesicht, der hoffentlich bei der Ampel und der nächsten Regierung für ein Umdenken vom Reden ins Zuhören bringen wird. Jetzt gilt es dem Willen des Wählers und der Wählerin und nicht dem des eigenen Klientel gerecht zu werden. Ganz klar zu beobachten ist in Ostdeutschland, allerdings auch im Westen, ein Schwund der Mitte, die in die äußeren Ränder gleitet. Diese Entwicklung muss begradigt werden.
Max Kamm
 

Quellen:

Fazit Communication GmbH im Auftrag des Auswärtigen Amtes, www.deutschland.de/de/topic/kultur/die-deutsche-nationalhymne

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